Wir sollten ALS Urheber FÜR Urheber das Maximale erreichen. Doch wir sind drauf und dran zu scheitern.

In der aktuellen Debatte um die geplante Reform des Urheberrechts enttäuschen mich v.a. diese zwei Punkte:

(1) Die bereits entstandene Unsicherheit über die konkrete Ausgestaltung der zukünftigen Gesetzgebung ist gesamtwirtschaftlich betrachtet schädlich.

Sie hemmt die Schaffung neuer Arbeitsplätze und Jobchancen in der Kreativwirtschaft. Und zwar bereits heute schon, denn jeder Gründer, jede Unternehmerin im Feld Digitale Medien muss die weitere Entwicklung und deren Konsequenzen jetzt mitdenken. Insbesondere in einem Markt, von dem viele Akteure bezweifeln, dass Europa – geschweige denn Deutschland – federführend sei oder kurz- und mittelfristig werden könne.

Viele Folgen der geplanten Richtlinie und ihre konkrete Bedeutung für Geschäftsmodelle im Digitalmarkt und den Berufsalltag von Urhebern werden sich erst im Laufe der kommenden Jahre vor den Gerichten entscheiden. Output vs. Outcome. So läuft das eben. Doch gerade deshalb hilft es bis hierhin auch keineswegs, dass wesentliche Teile der Verhandlungen über lange Phasen hinweg hinter verschlossenen Türen stattgefunden haben.

(2) Mangelnde Solidarität unter Urhebern.

Damit meine ich konkret, dass es die Reformbefürworter meiner Ansicht nach an Empathie und Solidarität in Bezug auf jene Urheber mangeln lassen, die sich eher auf der Seite der Kritiker einfinden. Hierzu möchte ich weiter ausführen. Denn wie komme ich auf diese Diagnose, wo sich doch tatsächlich viele Verbände und Verwertungsgesellschaften eindeutig pro Reform positionieren?

Nun, natürlich sprechen diese Institutionen in erster Linie für sich und ihre Mitglieder. Möglicherweise sogar für den größeren Teil ihrer Mitglieder, aber gewiss nicht immer für alle. Ich selbst habe auch eine andere Haltung als jener Verband und jene VG, deren Mitglied ich als Urheber bin. D.h. ja, es gibt Urheber, die die Meinung der Befürworter-Organisationen nicht vertreten und es gibt auch Verbände, als Beispiel seien hier die Freischreiber genannt, welche die Reform in der aktuell vorgeschlagenen Form aus guten Gründen ablehnen. Die dju Niedersachsen, mit der ich mich auf Twitter austauschen durfte, vertritt konträre Positionen zum dju Bundesverband. Parteien werden zum vielstimmigen Chor. Koalitionspolitiker können im Bundestag „…nicht verhehlen, dass wir uns an der ein oder anderen Stelle auch noch andere, netzaffinere Regelungen hätten vorstellen können“ (Christian Lange, SPD; so dokumentiert bei t3n). Justizministerin Katarina Barley verhält sich kritisch zu Artikel 13, ebenso Digital-Staatssekretärin Dorothee Bär.

Die Konfliktlinien verlaufen also kreuz und quer. Lasst euch von der ein oder anderen gut konzertierten Propagandaaktion nicht in die Irre führen!

Nur damit an dieser Stelle keine Missverständnisse aufkommen: Diese Wachsamkeit sollten sich alle Urheber zur Aufgabe machen, denn in der Tat gibt es reihenweise hausgemachten Unsinn auch bei Teilen der Reformgegner.

Mir gefällt aus den genannten Umständen heraus jedoch die Sichtweise der Befürworter nicht, die jene anderen Urheber und ihre Meinungen auf eine Art und Weise ausschließt und diskreditiert (“Bots”, “Von Google bezahlt”, …), die weder den gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklungen der letzten drei Jahrzehnte noch dem gesunden Menschenverstand gerecht wird. Ich wiederhole: Ich selbst bin ein in einem Verband und einer VG organisierter Urheber. Aber ich kenne aus meiner Berufs- und Lebenspraxis heraus alle Seiten, die von der kommenden Gesetzgebung tangiert werden.

Daher möchte ich euch im Folgenden einige Beispiele nennen und Fragen aufwerfen, die mich am aktuellen Lösungsansatz der Reform zweifeln lassen – selbst wenn ich das grundsätzliche Ziel als Urheber selbstverständlich teile, also u.a. eine gerechtere Verteilung der seitens der Plattformen generierten Einnahmen und eine insgesamt erhöhte Rechtssicherheit für alle Akteure zu schaffen.

(a) Viele Urheber und Lizenzgeber verdienen mit Content-ID (Google/Youtube) jetzt schon gut, teils richtig gut. Warum wird das auf Seiten jener, die “bisher keinen Cent!!” von der Plattform gesehen haben, noch nicht intensiver genutzt? “Erfahrungsgemäß gibt es momentan keine vergleichbare Plattform, bei der man mit den richtigen Stellschrauben eine so beeindruckende Optimierung erreichen kann wie bei YouTube”, sagt zum Beispiel Christopher Ludwig von BMG über YouTube (Auszug aus einem Interview bei Backstage PRO).

Darüber, wie das Geld von großen Rechteverwertern anteilig weiter bzw. zurück an die Urheber fließt, sprechen wir als Urheber aktuell übrigens viel zu selten – das ist ein anderes Thema, dessen genauere Betrachtung sich aber lohnt.

Ebenso außen vor bleibt in der Debatte ein ernsthafter Blick auf die Potenziale, die neuere Technologien wie die Blockchain für Urheber eröffnen könnte. Schade! Fakt ist technisch jedenfalls: Die großen Plattformen, auf die mit der Richtlinie vorgeblich gezielt wird, haben einen riesigen technologischen Vorsprung gegenüber anderen Anbietern. Sie werden die kommenden Anforderungen schneller und besser erfüllen und ihre Technologie anderen zu selbstbestimmten Konditionen anbieten können, um damit weiter zu profitieren.

(b) Das “Google, Facebook & Co.-Mantel-über-alle”-Argumentationsprinzip der Befürworter ignoriert die zu erwartenden Kollateralschäden.

Ich sage nicht, dass das Internet aufhört zu existieren – lasst uns auf dem Boden bleiben (s.o.). Aber die vorgesehenen Ausnahmekriterien sind ungenügend und die vorgeschlagene Definition eines „online content sharing service provider“ mindestens umstritten. Initiativen wie Foren gegen Uploadfilter zeigen ausreichend Beispiele, Grenzfälle und mögliche Problemstellungen.

Gewünscht ist also eine „Lex Facebook“, doch getroffen werden (auch) andere – & Co.!

(c) Der vor Gerichten von einem mutigen Urheber mit langem Atem hinweg gekämpfte Verlegeranteil kommt zurück. “Mit Artikel 12 soll […] festgeschrieben werden, dass Verlage in Zukunft wieder einen Anspruch auf einen Teil des Geldes haben, das wir Urheber von Verwertungsgesellschaften erhalten. […]. [Die Urheberrechts-Abgabe] wurde eingeführt, um Urheber zu stärken – und nicht die Verwerter”, erklärt dazu Carola Dorner (Vorsitzende Freischreiber e. V.). Recht hat sie.

(d) Das in einigen Ländern (ESP, D) bereits gescheiterte LSR (Leistungsschutzrecht) soll nun europaweit kommen. Mindestens Wort-Urhebern wird es massiv schaden. Denn Texte müssen gefunden werden, damit die Zählmarke im Text die Einnahmen für die Autoren hochtreibt. Das LSR hilft nur den größten Häusern. Diese verstecken ihren Content dank ihrer starken Marke zur Not hinter einer Paywall. In Kombination mit Punkt c ist dies ein echtes Desaster für Autoren.

Es wird auch keiner Künstlerin nutzen, wenn in der Berichterstattung über ihr neuestes Album oder Konzert bei Suchmaschinen oder anderen Verwertern zukünftig nur noch einzelne Worte und sehr kurze Textausschnitte angezeigt werden dürfen.

(e) Urheber ist jeder Mensch, der mit seiner kreativen Leistung eine gewisse Schöpfungshöhe erreicht – niemand muss Mitglied eines Verbandes oder einer Verwertungsgesellschaft sein. Und das WWW hat im Vergleich zu früher eine Vielfalt an Möglichkeiten geschaffen, um rasch und einfach zum Sender zu werden. Die solidarische Fragestellung muss an dieser Stelle also lauten:

Wie ist vor dem Hintergrund der von Usergenerated-Content-Plattformen geforderten Maßnahmen sichergestellt, dass unabhängige Urheber und alternativ lizenzierter Content (CC, Public Domain, …) weiterhin sichtbar (mithin: uploadbar) sein werden?

(f) Ist es wirklich wünschenswert, illegal tätige Uploader zukünftig aus ihrer Haftung zu entlassen?

(g) Wollen wir Urheber jetzt wirklich eine Richtlinie durchwinken, in der Total-Buy-out-Verträge nicht explizit verboten werden? Schließlich ließen sich noch einzelne Artikel ändern oder streichen.

(h) Kann zukünftig jeder Urheber damit leben, dass seine Inhalte nach der Vereinbarung umfassend ausgestalteter Pauschallizenzierungen dann zwar legal und vergütungspflichtig genutzt werden, aber ggfs. in einer Art und Weise oder im Rahmen eines Kontexts, den er oder sie sich nie gewünscht hätte – während man selbst vielleicht nur noch an der Sideline sitzen und zugucken kann, anstatt einzugreifen?

Möglicherweise wird es Wege geben die Lizenzierung als Urheber zu widerrufen – was dann aus Gründen der Praktikabilität aber recht sicher nur „ganz oder gar nicht“ bedeuten wird. Um über eine einzelne Verwertung bestimmen zu können wird die Handhabe fehlen. Schließlich darf von Seiten der Urheber schon lange und berechtigterweise bemängelt werden, dass die Wege hin zu einem erfolgreichen „take down on notice“ in vielen Fällen nicht gerade hervorragend ausgeschildert sind.

Ganz generell stellt sich darüber hinaus immer das Problem, dass man auf die möglicherweise unerwünschte (aber lizenzierte) Nutzung seines kreativen Werks überhaupt erstmal aufmerksam werden müsste. Ich befürchte also, dass es zukünftig eher vermehrt als seltener vorkommen wird, dass Werke nicht im Sinne des ihres Urhebers verwendet werden.

(i) Erreichen eigentlich mithilfe von Libraries und Presets quick-and-dirty erstelle Filmuntermalungen überhaupt eine Schöpfungshöhe, die deren Vergütung über eine Bezahlung des ursprünglichen Auftragshonorars hinaus rechtfertigt? Oder ist zukünftig dann einfach alles Kunst, was irgendwie in einem Verband oder in einer VG unterkommt?

Das mag eine überspitzte Frage sein. Dennoch stellen sich durch das bereits beschriebene, ausschließende Prinzip der geplanten Richtlinie in der Tat ganz grundsätzliche Fragen dazu, wer in Zukunft als Urheber GILT im Gegensatz dazu wer wirklich einer IST.

(j) Ich bin insgesamt erschrocken über diesen konservativen Backlash mehr als zwanzig Jahre nachdem wir Experten “free culture”, “mix rip and burn” und vieles andere mehr rund um den ganzen Kosmos des digitalen Wandelns zu diskutieren begonnen haben. Wie in anderen Bereichen (z.B. besonders auffällig in der Migrationspolitik, wo man seit 2015 auf dem Stand von 1993 verharrt) drohen wir durch vorschnelle, in diesem Fall rein profitorientierte und dabei auf identifizierbare Lobbys gemünzte Handlungen, meilenweit zurückzufallen.

Und das nur deshalb, weil die Politik dem vorausgehenden Diskurs nie mit Taten gefolgt ist und jetzt vor der Situation steht, unter dem hohen – und ich sage erneut grundsätzlich komplett berechtigten – Druck durch Urheber und Verwerter eine große “Generallösung” finden zu sollen,…

…was natürlich nicht geht. Also will man es wenigstens für das “Weltrepertoire”, wie die grüne Befürworterin Helga Trüpel so schön sagt. Das ist übrigens eine Wortschöpfung mit nur etwas über 6.200 Google-Treffern, für die fast ausschließlich Themen rund um die GEMA sorgen.

Alles Punkte, die sich noch weiter ausführen und ergänzen ließen. Aber lasst uns doch abschließend noch darauf schauen, wie realistisch die Hoffnung der Befürworter-Urheber tatsächlich ist, mehr Geld zu erwirtschaften.

Eine theoretische Frage dazu: Was hält Plattformen, den ein oder anderen Bewegtbild-Urheber auf der Suche nach Tunes und andere Verwerter jetzt oder künftig davon ab, auf spezialisierte Anbieter mit extrem attraktiven Lizenzierungskonditionen zurückzugreifen (z.B. epidemicsound)? Vorbei also an jenen Urhebern und Lizenzgebern, die sich durch die Reform ja eigentlich eine Besserstellung erhoffen? medium.com bietet den Autoren direkten Zugriff auf die Fotoerzeugnisse der Plattform Unsplash, die von hochladenden Urhebern vollumfänglich honorarfrei zur Verfügung gestellt werden – wie das bei Fotografen ankommt, die täglich bezahlte Aufträge akquirieren müssen? Googelt mal „Zack Arias Unsplash“.

Für all solche Punkte und Dinge ist das geplante Reformwerk nicht die Lösung. Sprich: Es ist NICHT die Lösung für unser digitales Zeitalter.

  • Bleibt das Netz nach Artikel 13 plötzlich hängen? Nein.
  • Wird es leichter für Urheber, im Netz Geld zu verdienen? Nicht für alle.
  • Werden Urheber Nachteile haben? Ja, und wahrscheinlich sogar mehr Urheber, als jetzt gemeinhin antizipiert wird.

Wir befinden uns nicht mehr im Neuland. Viele, darunter ich selbst, bewegen sich seit vielen Jahren professionell im Netz und erwirtschaften hier ihr Auskommen oder beschäftigen sich auf anderen Ebenen damit – nicht nur zum monetären Benefit. Mein Standpunkt lautet deshalb: Wir sollten auf der Suche nach Lösungen da ansetzen, wo wir heute stehen.

Die Befürworter zeigen, indem sie legitime Einwände in der aktuellen Debatte mit den immerselben Verweisen nicht mehr zulassen, dass ihnen die Aussicht darauf, ganz persönlich mehr Geld in der Tasche zu haben, doch näher ist als Solidarität und eine tiefergehende, möglicherweise ja noch etwas länger energiezehrende Suche nach den richtigen Lösungen. Schnell verweisen sie auf einzelne Passagen des Gesetzentwurfs oder fragen gleich “hast du als Kritiker denn überhaupt alles gelesen?”. Sie treten in diesen Momenten plötzlich als Übersetzer und Juristen zugleich auf, was ihr unsolidarisches Verhalten mit einer totalen Selbstüberhöhung paart und damit noch auf die Spitze treibt. Und das, obwohl niemand bezweifelt, dass es einen Reformbedarf gibt. Die Kritik zielt schließlich auf konkret benennbare Einzelaspekte.

Ich jedenfalls möchte die Warnungen von gestandenen Juristen, Datenschützern, vielen glaubwürdigen Politikern und anderen, die sich in den letzten Wochen kritisch geäußert haben, nicht so arrogant von oben herab in den Wind schießen.

–– tl;dr:

Ginge es nach mir, dann würde der aktuelle Entwurf gestoppt und nach den Wahlen die Suche nach einer guten Ersatzlösung für die Artikel 11-13 fortgesetzt.

Kommt es auf ein paar Monate mehr oder weniger wirklich an, wenn es uns allen wirklich um eine gute Zukunft für alle Urheber geht? Ich denke nicht.