In Mannheim findet derzeit eine Propagandaschlacht statt. Durchaus subtil, deshalb jedoch nicht weniger vehement.
Beinahe alle öffentlichen Plätze sind besetzt mit “Info”-Zelten, Bühnen und Menschen, die von den aufgestellten Mikrofonen und Lautsprechern regen Gebrauch machen. Es ist Katholikentag.
Wie bei den jüngsten Querelen in den Fußballstadien dieser Republik ist es auch hier: Viele nette Menschen und Familien säumen friedlich die Straßen, liegen am Neckarufer, schlendern durch die City, lauschen den Vorträgen am Marktplatz, genießen einfach das gute Wetter und suchen nach dem “Dialog”, der ihnen versprochen wurde, mit dessen Ankündigung sie in die Quadrate gelockt wurden. Dazwischen die radikalere Fraktion, mit Schildern, Plakaten und Flyern, Islamhasser, bibeltreue Narren, Kreationisten.
Niemand stellt sie. Im Gegenteil, ihre Ideologien treffen scheinbar auf Verständnis, man tritt in bestätigenden Dialog. Was scheint oberflächlich betrachtet auch falsch am “Gedenken an die ermordeten Christen in der Türkei”? Ein junger Muslim will über Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit, Moral und andere Tugenden diskutieren. Hier ist er dafür falsch, nur wenige Meter von seiner Wohnung entfernt.
Beinahe unsichtbar ein kleines Zelt gegenüber dem Paradeplatz: Aufklärer auf verlorenem Posten. Der Dialog mit ihnen beschränkt sich darauf, dass sie sich Propagandatiraden anhören müssen. Sie ertragen es mit einer respektablen Geduld und stehen ein für ihre Sache. Und der gemäßigte Pilger erträgt ihren Stand mit einem Lächeln.
So ergibt sich die Subtilität der katholischen Propaganda aus der Tatsache, dass ein großer Teil der Katholiken durchaus sozial engagierte, nette Menschen sind, die eine Leidenschaft teilen und diese in Gesellschaft leben wollen. Doch die Vehemenz der Propaganda schlägt von den Bühnen und den verwirrten Fundamentalisten entgegen. Und natürlich: Die Masse macht’s. Zwischen 40.000 bis 60.000 Gäste sind in Mannheim.
“Jesus liebt dich. Jesus saves. Kehre um. Bekehre dich. Gestehe deine Sünden. Lass dich von Jeses retten!” schreit ein junges, unscheinbares Mädchen durch eine kleine Anlage, bevor die christliche Musikgruppe, für die sie auch wirbt, mit ihren dementsprechenden Propagandaliedern loslegt. Der Gesang könnte nicht schiefer sein. Die Bibel ist laut. Sehr laut. Sehr schräg. Domradio berichtet live.
Laut ist es auch am Messplatz. Gefühlt lauter als die Großveranstaltungs-Versuche am Schloss, z.B. HipHop Open, je waren. Die Bühne dort wird beschallt von einer Crossover-Band. HipHop, Rock, Pop und White Metal verschmelzen zu einem Sound, der die jungen Katholiken vor die Bühne treibt. Der Bass bringt die Scheiben des Memo zum vibrieren.
Und so lernt man dieser Tage in Mannheim nicht nur, wie die Welt wirklich entstanden ist und welch geistiger sowie geistlicher Reichtum an dir unbeachtet vorbeigeht, du Sünder, sondern auch, was in Mannheim alles möglich ist. Leider offenbar nur und erst, wenn eine priviligierte Bevölkerungsgruppe danach fordert. Man wird in künftigen Diskussionen auf diese Tage erneut zu sprechen kommen müssen, wenn wieder Ideen für Veranstaltungen im Herzen der Stadt verworfen werden aufgrund der ordnungsamtlichen Sicht auf die Lage der Dinge. Wenn man will, dann geht’s – auch in Mannheim.
Ich kehre nach zwei Stunden ohne propagandistisches Material in Tüten (Flyer, Kataloge, Infoschriften, …) zurück, raus aus den Quadraten, weg von Schillerplatz, Bahnhof, Wasserturm, Messplatz und all den anderen besetzen Orten im öffentlichen Raum – ich hätte es ja doch nur weggeworfen mit demselben Kopfschütteln, das mir während meines Ausflugs steter Begleiter war.
Timo 18. Mai 2012 at 6:52 am
Du bist nicht allein. Nach eineinhalb Stunden war auch meine Toleranz am gestrigen Tage ausgefüllt. Für Mannheim mag es eine gute Gelegenheit sein sich zu präsentieren, für mich als Mannheimer ist es auszuhalten. So lange kein reliogöses Wunder passiert und die Pilger nicht zukünftig dauernd kommen…