Mag sein, dass auch ein Kritikpunkt ist, dass in den deutschen Medien zu spät berichtet wurde, wie SPON schreibt. Mich erschreckt vielmehr, wie sehr sich alles auf auf die Touristen stürzt, während (mal wieder) von Einheimischen wenig zu sehen und meist nichts zu hören ist. Dafür gibt es immer noch die tollen Experten, die vom heimischen Büro – vor ihren Imageplakaten posierend – ihr Wissen kund tun.
Und dann war da noch …
… die Urlauberin in Phuket, die willigen RTL-Reportern ihr Leid klagt, dass niemand von den Einheimischen dafür sorgen würde, dass die Strände aufgeräumt würden. Da könne ja wirklich keine Urlaubsstimmung mehr aufkommen. Wo man doch so schön Devisen ins Land bringe.
(gefunden bei Anke Groener)
Ich hatte mir da vor ein paar Jahren (1998) mal die Mühe gemacht – im Rahmen einer Hausarbeit – einen Monat lang die Nachrichten der Privatsender aufzuzeichnen und zu analysieren.
Die zentrale Frage im Vorfeld dieser Untersuchung lautete: Wie wird über Naturkatastrophen in nicht-europäischen Ländern, insbesondere über die Opfer solcher Ereignisse, in den Nachrichtensendungen der Privatsender RTL, VOX, PRO 7 und NTV berichtet? Was wird über Betroffene gesagt, was sagen sie selbst? Hierbei galt es, gängige Vorurteile bzw. Vermutungen wie z.B.
– daß es wenige positive Berichte über Eigenleistungen der Opfer gäbe
– daß man verdeckten oder offenen Rassismus in Berichten fände
– daß eurozentristische Perspektiven dominieren würden
zu bestätigen oder ihnen mit den gewonnenen Erkenntnissen zu begegnen. Von besonderem Interesse waren demnach die gesprochenen Beiträge. Aber auch das Bildmaterial wurde mit in die Untersuchung einbezogen.
Vom 3.11.1998 bis zum 3.12.1998 habe ich alle Nachrichtensendungen zu den Hauptsendezeiten auf den 4 Sendern RTL, VOX, PRO 7 und NTV auf Video aufgezeichnet. Der Zeitraum der Sammlung von Sendungen fiel in die Zeit der durch den Hurrikan “Mitch” verursachten großen Naturkatastrophe in Nicaragua und Honduras. Aber auch Berichte über einen Taifun in Vietnam, ein Bericht über ein Erdbeben in Indonesien, einer über ein Erdbeben in China und ein Bericht über Peru und Ursachen anderer Naturkatastrophen wie El Ninho.
Heraus kam recht Erschreckendes:
Trotz der Vielzahl der Ereignisse und Berichte stellte sich heraus, dass:
Nur über einen relativ kurzen Zeitraum hinweg berichtet wurde:
Vom 3.11.98 bis einschließlich dem 10.11.98 wurde mit Ausnahme von NTV (am 6.11. kein Bericht) auf allen Sendern über die Naturkatastrophe in Nicaragua berichtet. Ab dem 11.11.98 fand auf VOX, NTV und PRO 7 bis zu dem Ende meiner Aufzeichnungen kein Bericht mehr statt. RTL unterbrach ab dem 13.11.98, sendete jedoch in der Folgezeit noch weitere aktuelle Berichte am 18.11., 25.11. und am 29.11.98.
Einheimische werden durch die Wortwahl der Berichterstattung in eine fatalistische Opferrolle gesetzt:
Die Erstellung einer Rangfolge mit den wichtigsten bzw. auffälligsten Wörtern ergab folgendes: Am häufigsten wird die Opferzahl genannt, in jedem Bericht ist dies der Fall. Es folgen Wörter, die in Zusammenhang mit dem Wort ‘tot’(o.ä.) stehen, dann Wörter, die sich in Zusammenhang mit dem Wort ‘Hilfe’(o.ä.) ergeben. An vierter Stelle schließlich finden sich Wörter, die sich auf Krankheiten beziehen. Diese Liste könnte man erweitern, differenzieren und verlängern, es fällt dennoch bei der Anwendung dieser Kategorien auf, daß es sich ausschließlich um negativ besetzte Wörter handelt. Insbesondere dadurch negativ, daß sich z.B. die Kategorie ‘Hilfe’ auf jene von außen bezieht, nie aber auf den Aspekt Selbsthilfe.
Auch in Metaphern läßt sich manchmal ein bestimmtes Bild erkennen, wenn es zum Beispiel heißt, französische Ärzte werden “wie Engel” empfangen (RTL 9.11.98) oder eine weitere Luftwaffenmaschine sei “mit Geschenken” – anstatt “Hilfsgütern” – gelandet (RTL 11.11.98). Ebenfalls negativ auffallend sind immer wiederkehrende Formulierungen wie “Mittelamerika wurde tödlich verwundet…. ganze Dörfer ausgelöscht” (z.B. NTV 3.11.98) oder die ständige Umschreibung Nicaraguas als “Armenhaus Mittelamerikas” (z.B. PRO 7 3.11.98). Ein Bericht, PRO 7 3.11.98, bekam von mir die Bewertung ‘blutrünstig’, da sowohl sprachlich als auch mit den Bildern keinerlei anderer Inhalt vermittelt wurde als wie viele Menschen doch gestorben seien, das Wort ‘tot’ in fast jedem Satz vorkam und eine Reihe anderer Formulierungen benutzt wurden, nur um dies so bildhaft wie möglich zu beschreiben.
Einheimische Betroffene kommen gar nicht oder sehr selten zu Wort: Gar nicht zu Wort kamen sie auf NTV. In dem ganzen Monat nicht ein einziges Mal. Schaut man bei den anderen Sendern, kann man erkennen, daß die Betroffenen eher als hilflose, schicksalsergebene Opfer dargestellt werden, die sich selbst offensichtlich nicht weiter zu helfen wissen. Es handelt sich um Hilfeapelle, Verlustbeschreibungen, ein kurzes Stoßgebet zu Gott oder die Beschreibung scheinbar auswegloser Situationen. Weiterhin auffallend ist, daß es sich – ob direkt oder indirekt – um keine ‘richtigen’ Interviews handelt, sondern nur um kurze Aussagen der Personen. Die Interviews mit den Betroffenen stellen außerdem den ganzen Anteil an indirekten Interviews. Es folgt keine weitere Frage oder man schnitt alles weitere, was die Personen – im übrigen hauptsächlich Frauen – zu sagen hatten, einfach weg. Oder man übersetzte lieber gleich nach eigenem Gutdünken:
Gleiche Szene, einmal RTL, einmal VOX;
“Der Schlamm riß mich nach oben, dann nach unten. Als ich mich retten konnte, war ich allein.”
“Mein Vater ist nicht mehr aus dem Haus gekommen, ich war allein.”
Die Darstellung der Einwohner als überwiegend hilflose Opfer impliziert den Umkehrschluß, daß Hilfe von Außen kommen muß. Und tatsächlich ist dies auch das zentrale Thema bei den übrigen interviewten Personen -> den westlichen Experten. Sie werden als jene mit Situationsüberblick und als Chaosmanager dargestellt. Sie scheinen die Analysten und gleichzeitig einzige Logistikplaner der Hilfsmaßnahmen zu sein. Es gab nur eine Ausnahme bei dieser verzerrten Berichterstattung. Dabei wurde sehr deutlich, wie einheimische Organisationen und Privatleute selbstverständlich “an vorderster Front” waren und – schlicht gesagt – ordentlich anpackten.
Ja, man könnte die Ergebnisse noch weiter aufführen. Fazit blieb damals, dass insbesondere NTV eine schreckliche Figur abgab. Bei diesem Sender scheint mir das auch heute wieder so zu sein. Business related News über die Touristikkonzerne und schreckliche Interviews mit Touris ähnlich wie das von Frau Groener zitierte….nur die Einheimischen kommen nicht zu Wort. Betrachtet man verschiedene Sender, ist mir einzig aufgefallen, dass Indien weit anders dargestellt wird. Als sich selbst helfend, anpackend und “alles unter Kontrolle” habend. Teilweise zumindest, mir scheint jedenfalls, mindestens die PR haben sie wirklich noch im Griff.
Naja, ich habe ein Auge darauf, und viel wichtiger als sich sogleich darüber wieder einen Kopf zu machen ist es jetzt zu spenden. An jene, die wirklich helfen und bei den Menschen vor Ort sind (vgl. vorgergehenden Eintrag mit Link zu einer guten Liste von Spendenkonten etc.). Und hoffentlich, wenn noch so schlecht zum Teil, hört die Berichterstattung nicht so schnell wieder auf. Aus den Augen aus dem Sinn, oder:
“Der Krieg ist vorbei, ich habe es im Fernsehen gesehen.” (aus “Wag the Dog”).
Anm.: Zu diesem Artikel auf Telepolis entfaltet sich in den zugehörigen Kommentaren auch gerade eine Debatte über die Berichterstattung. Vielen genannten Punkten kann ich mich auch da nur anschließen. Bsp.: Es ist schon Routine in die Katastrophen-Berichterstattung gekommen. Erste Zahlen, erste Bilder, Hintergrundinformationen, Betroffenheitsgetue, Einzelschicksale und dann wird natürlich immer nach dem Wunder der Katastrophe geforscht: “Kinder überlebt auf Matraze”, “Junge nach vier Tagen vom Baum geholt” etc. Immer das gleiche Schema. Immer hübsch auf die Tränendrüse drücken. Achja, die Krönung der neuesten Katastrophe: Das Wort zum Tsunami vom Bischof persönlich und die anschließende Debatte “Gibt es Gott?”. (Rolf Neumann) Deutsche Hilfsmaßnahmen angelaufen: 300 Touristen ausgeflogen. Das meldete heute nacht um 1 Uhr der Deutschlandfunk. Widerlich! (Der Doctor)
Pervers finde ich allerdings in Anbetracht des immensen unüberschaubaren Ausmaßes wie die ARD bereits in den ersten Tagen ‘das Chaos bei den Hilfsaktionen’ kritisiert. (kimschmitzii)
Anm.2: Andreas Obst im Kommentar auf FAZ.net: …Die Irritation beginnt mit der Berichterstattung in den Medien hierzulande. Von Anfang an traf sie eine eigenartige Unterscheidung zwischen einheimischen Opfern und Touristen. Während von den einen pauschal in Zehntausenden die Rede war, wurden die Fremden nach Nationen sortiert. Und in der frühen Phase der Unglücksbilanz, als sich die Verluste ausländischen Lebens noch einstellig zählen ließen, wurde jedem einzelnen mutmaßlichen deutschen Opfer mit einer Akribie nachgeforscht, die zumindest vor dem Hintergrund des Unglücks einer ganzen Region arrogant und zynisch wirken mußte…