Foto: "Sorry everybody", 2004 – ich habe knapp 1500 Beiträge gesammelt.
Manchmal brauche ich eine Dosis Nostalgie – abgeschmeckt mit ein bisschen Ironie. Heute ist so ein Tag.
Vor 20 Jahren, nach der Wiederwahl von George W. Bush, fanden zahllose Amerikaner einen viralen Weg, um ihren Frust auszudrücken: Die “Sorry Everybody”-Kampagne. Die Menschen teilten Fotos von sich mit handgeschriebenen Entschuldigungen an den Rest der Welt. Das Internet, damals noch geprägt durch den Aufstieg der Blogosphäre und dem Abschütteln der Gatekeeper, wurde zum virtuellen Trostraum, in dem kollektive Frustration und Enttäuschung in etwas Verbindendes verwandelt wurden.
Tja. Wer hätte damals gedacht, dass wir 2024 eigentlich den perfekten Moment für eine Neuauflage erleben würden? Nur ob wirklich etwas in dieser Richtung kommt, ich kann es bisher noch nicht sehen. Der liberale YouTuber David Pakman fragt sogar: “Is the left about to ABANDON politics?” Nach der Wahl Trumps erlebt sein Kanal eine regelrechte Abmeldungswelle.
2024: Ein anderes Internet, definitiv größerer Schmerz
Donald Trump wurde also erneut zum Präsidenten gewählt – und wir ahnen, was das bedeutet. Die politische Landschaft erscheint zerrissener denn je. Aber auch die Art, wie wir über das Feld der Politik sprechen, hat sich fundamental verändert. 2004 war die digitale Welt noch überschaubar: Blogs waren das “next big thing”, Facebook steckte in den Kinderschuhen, und wenn etwas viral ging, erreichte es tatsächlich noch ein breites, diverses Publikum. Fast wie eine große, dysfunktionale, aber irgendwie liebenswerte Familie.
Jetzt leben wir in einer Welt der digitalen Paralleluniversen. Jede Social-Media-Plattform ist ein Kosmos für sich, und innerhalb dieser Welten sieht jeder Nutzer seinen eigenen, algorithmisch kuratierten Feed. Was für die einen virale Realität ist, existiert im Informationsuniversum der anderen überhaupt nicht. Wo früher die “Tagesschau”, der “Spiegel” oder die Top-Blogs noch gemeinsame Bezugspunkte schufen, gibt es heute endlos viele individualisierte Nachrichtenströme.
Warum ich mir eine neue “Sorry”-Welle wünschen würde
Der Erfolg von “Sorry Everybody” lag in der Mischung aus Galgenhumor, Selbstironie und Verbindlichkeit. Es war keine politische Kampagne, sondern eine zutiefst menschliche Geste: “Hey Welt, wir wissen auch nicht, was hier los ist – aber wir sind nicht alle so!”
Vielleicht ist es genau das, was wir heute wieder brauchen: Eine Möglichkeit, uns über alle Filterblasen hinweg zu verbinden. Nicht mit einer einzigen viralen Kampagne – die Zeiten sind vorbei – sondern als Mosaik verschiedener Ausdrucksformen.
Die Welt von 2024 ist komplexer, schneller und vielleicht auch zynischer als die von 2004. Aber gerade deshalb brauchen wir Momente, die uns daran erinnern, dass wir mehr sind als unsere politischen Differenzen. Der Trick dabei wäre, die Fragmentierung nicht als Hindernis zu sehen, sondern als Chance, Menschen dort abzuholen, wo sie sind – mit einer Botschaft, die universal genug ist, um überall zu funktionieren.
Manchmal braucht es einfach ein kollektives Durchatmen und die Erinnerung daran, dass wir alle im selben Boot sitzen. Eine große, virtuelle Gruppenumarmung – boah, täte das gut!