Im August 2004 fällt viel zu wenig Regen. Dann fressen Myriaden von Heuschrecken die dürftigen Felder kahl. Die Folge: eine Missernte im Oktober. Im November dann der erste Appell der Vereinten Nationen, im Januar 2005 läuft das Hilfsprogramm an. Im März bitten die UN wieder um Spenden, und noch einmal im Mai. Aber bis zum Juni geht keine einzige nennenswerte Zusage ein. Die Regierung in Niamey bagatellisiert die katastrophale Versorgungslage. Von den Hilforganisationen ist nicht viel zu hören, und auch die Entwicklungspolitiker im Norden schweigen. Der Hunger ist still, die Not bleibt unsichtbar, also existiert sie nicht.
Die traurige Katastrophe in Niger hat weit weniger mediale Beachtung bekommen als das Tsunami-Desaster. Letzteres schlug ein wie ein Blitz. Vor Ort, in den Medien, in den Blogs. In Niger schlich sich das Elend fies und zermürbend an. Der Schock des Plötzlichen blieb hier aus. In seinem Artikel für die ZEIT kritisiert Bartholomäus Grill die Unaufmerksamkeit und Interessenlosigkeit der Politik und der Medien. Wohl zurecht. Mit Schuldenerlaß kaufe man sich ein Ticket dafür, auch mal 2 Augen gegenüber der konkreten Krisensituation zu verschließen, schreibt der Autor sinngemäß. Dann aber fürt er weiter aus:
Noch einfacher ist es, wenn man sich wie Bob Geldof einbildet, ein paar alte Männer mit Gitarren könnten durch ein globales Life-8-Konzert [sic!] einen moribunden Kontinent retten. In einem solchen Zirkus bleibt Afrika ein sternenfernes Abstraktum, eine Projektionsfläche für Gutmenschen. Jetzt, wo es um ein konkretes Desaster geht, um den Hunger in Niger, sind die Gitarren verstummt. Jetzt ist nur noch das Wimmern der Hungerkinder zu hören. Die Moral von der Geschichte: Eine Not wird erst zu einer solchen, wenn der CNN-Effekt einsetzt, wenn die Weltpresse im Krisengebiet landet und die traurigen Szenen im Wettlauf um Einschaltquoten und Auflagen als globale Katastrophenshow vermarktet.
Diese Kritik an Geldofs Initiative geht am Thema vorbei. Hier wurde zumindest ernsthaft versucht, Aufmerksameit zu schaffen, wenn auch nicht am explizit konkreten Fall. Hier haben Musiker und Organisatoren etwas auf den Weg gebracht, um überhaupt erst mal einen CNN-Effekt in den Bereich des Möglichen zu rücken. Und Grills Moral von der Geschichte liest sich deshalb wie kalter Kaffee, weil dieser nach dem globalen Nachrichtennetzwerk benannte Medieneffekt nicht erst jetzt festgestellt wird sondern lange bekannt ist. Ja, erst wenn die Weltpresse vor Ort aufschlägt lässt sich überdurchschnittliche Aufmerksamkeit schaffen. Und weil das so ist, und weil eben dies bekannt ist, muss man doch auch mal die Vermengung mit Politikkritik und den Nörgeleien an Kulturveranstaltungen wie Live 8 beiseite lassen. Grill fragt in seinem Text, was ‘uns’ das lehrt. Vielleicht, dass die (Nachrichten-)medien ihrer Verantwortung nicht nachkommen – und solche haben sie im Gesamten, nicht nur die öffentlich-rechtlichen Anstalten – weil sie, wie er ja bereits richtigerweise feststellt, äusserst selektiv berichten in dem “Wettlauf um Einschaltquoten”. Aber Herr Grill ist Teil dieses Medienzirkus, und mit seinem Artikel kommt er letztlich auch nur hinterhergedackelt und verstreut Kritikersalz über jede einzelne Wunde, anstatt mit der eigenen Zunft detailliert und hart ins Gericht zu gehen. Kritik am Quotenwettlauf kann ja nicht da aufhören, wo man feststellt, dass es einen solchen gibt. Quoten sind nicht per se und immer vorhersehbar (was ansonsten wohl einige TV-Shows erst gar nicht auf Sendeplätzen landen lassen würde). Also gibt es Entscheider, die darüber richten was wohl Quote bringt und was nicht, was letztlich auf den Sender kommt und was nicht. Warum ging man davon aus, eine qualifizierte Niger-Berichterstattung erfülle kein Kriterium um in ausreichendem Maße stattfinden zu können? Auf den Schultern der Entscheider liegt die Verantwortung dafür, Aufmerksamkeit zu schaffen für eine Katastrophe, die jedes Quentchen Aufmerksamkeit und Hilfe wirklich verdient hat.
Als Einzelnem, der weder in der Politik, noch in NGOs oder den Medien aktiv ist, bleibt vorerst mal das Mindeste zu tun: Die engagierten Hilfsorganisationen mit einer Spende unterstützen. Eine umfassende Zusammenstellung von Spendenkonten gibt es z.B. auf dieser Webseite des ZDF.